Lehrtherapie

Die L e h r t h e r a p i e (Ausbildungstherapie) ist das Herzstück, das tragende Element einer jeden Therapieausbildung. Sie wirkt stilbildend für die Auszubildenden und ist der Ort, an dem der spezifische  Geist eines Therapieansatzes an die nächste Therapeutengeneration weitergegeben wird. 

Die Lehrtherapie dient der notwendigen Erfahrung des Aufbaus und der Handhabung einer therapeutischen Beziehung, des therapeutischen Settings und des therapeutischen Prozesses ‘am eigenen Leib’. Bei ihr geht es nicht bloß um das Erlernen und die Aneignung technischer Methoden, sondern auch um die vertiefte und differenzierte Kenntnis der eigenen Persönlichkeit, den Abbau von ‘blinden Flecken’, um die Entwicklung der Fähigkeit zur Selbstbetrachtung und –reflexion. Denn das wichtigste Instrument in der Psychotherapie – das sind wir selbst als Therapeut und Therapeutin.

Jede Lehrtherapie ist einerseits eine Schulung der Therapeutenpersönlichkeit, um sie auf die spezifischen Herausforderungen, Belastungen und Gefährdungen dieses Berufs vorzubereiten. Sie ist aber immer auch ganz normale Psychotherapie, da es notwendig ist, dass zukünftige Therapeuten die Klienten-Situation voll und ganz selbst erlebt haben.

In der Lehrtherapie überschneiden sich also therapeutische und pädagogische Zielsetzungen. Sie vollzieht sich demgemäß auf zwei verschiedenen Ebenen: Der Ebene des persönlichen therapeutischen Prozesses und einer Meta-Ebene, auf der wir diesen Prozess betrachten und reflektieren. In der Lehrtherapie sind die Schüler zugleich Klienten und umgekehrt. Diese anspruchsvolle Arbeitsweise setzt voraus, dass die Klienten-Schüler/innen zwischen diesen Erfahrungs-Ebenen wechseln können. Deshalb sind therapeutische Vorerfahrungen und ein therapeutisches Grundwissen V o r a u s s e t z u n g e n  dafür, eine Lehrtherapie zu beginnen. Weitere Voraussetzungen sind eine gewisse Belastungsfähigkeit und vor allem die grundsätzliche Fähigkeit zur Introspektion.

Existenzialpsychologische Lehrtherapie

Meine Lehrtherapien sind – vor dem Hintergrund einer psychodynamischen und Jungianischen Tiefenpsychologie - ausgerichtet auf das praktische Erlernen eines existenzial-psychologischen Psychotherapieansatzes (zB Dürckheim, Yalom) mit seinem personzentrierten, phänomenologisch-dialogischen Therapiestil. Die existenziell-humanistische Orientierung ist vor allem geeignet für Therapeuten, die sich über das Behandeln oder das Problemlösen hinaus eine reife und personal ausgerichtete Ebene für ihre Arbeit erschließen wollen.

Mein Anliegen dabei ist es, der nächsten Therapeutengeneration nicht nur Inspiration und praktische Anleitung zu bieten, sondern sie entgegen den vorherrschenden Tendenzen zu trainingsorientierten Kurzzeittherapien zu ermutigen, in einem entwicklungsorientierten und interpersonalen Bezugsrahmen zu arbeiten.

 

Anmerkung: Existenzial-psychologische Psychotherapie und Philosophie

Der existenzial-psychologische Therapieansatz wurzelt nicht nur in Psychologie und Medizin, sondern maßgeblich in der Philosophie. Die Geburtsstunde der Psychotherapie lässt sich in unserem Kulturkreis ziemlich genau angeben: Es war der griechische Philosoph S o k r a t e s, der vor zweieinhalbtausend Jahren dieses Projekt startete- das Projekt der freiwilligen, bewussten und systematischen Veränderung des Menschen durch therapeutische Beziehungsgestaltung und Dialog.

Schon der Name ‚Psychotherapie’ weist auf ihre philosophische Herkunft hin: psyche (gr.) ist ein philosophischer Begriff und die Auseinandersetzung mit dem menschlichen Erfahrungsbereich, den wir ‚psychisch’ (seelisch) nennen, zieht sich wie ein roter Faden durch die Geschichte der Philosophie.

Mit diesem Projekt - der freien und bewussten Selbstveränderung des Menschen im Kontakt mit einem anderen Menschen – steht die Psychotherapie in unserer gesellschaftlichen Landschaft ziemlich alleine da. Sie passt nicht recht zu einer Medizin, die seit mehr als eineinhalb Jahrhunderten an den Naturwissenschaften ausgerichtet ist, ebenso wenig zu einer (natur)wissenschaftlich orientierten akademischen Psychologie, aber auch nicht recht zu einer Pädagogik, die Erziehungsziele durch Lehren und Lernen verwirklicht. Als ein Verfahren, das eine freiwillige Veränderung durch systematische Beziehungsgestaltung und Dialog herbeiführt, findet die Psychotherapie in diesen Nachbardisziplinen keine eigene Grundlage.

Die Heimat der Psychotherapie, ihr altes Zuhause, ist die Philosophie, vor allem in ihrer lebenspraktischen Ausrichtung. Die sokratischen Dialoge waren kein medizinisches Verfahren, sie waren keine erzieherische Maßnahme und keine Religionsausübung. In ihrer dialektischen Gesprächs- und Beziehungskunst waren sie vielmehr darauf angelegt, im Menschen eine Art von ‚unbewusstem Wissen’ zutage zu fördern (im Sinne eines allgemein-menschlichen und eines persönlichen Wissens), über das nach Auffassung des Sokrates jedes Individuum natürlicherweise verfügt. Dieses ans Licht bringen zu helfen nennt er ‚Hebammenkunst’ (maieutike techne) und legte damit den Grundstein für alle modernen entwicklungsorientierten und dialogischen Therapieansätze.

 „Die Aufgabe des Philosophen ebenso wie die des Therapeuten ist es, die Verdrängung wieder rückgängig zu machen und das Individuum wieder mit etwas vertraut zu machen, was er oder sie schon immer gewusst hat.“ (Irvin D. Yalom)

In der psychotherapeutischen Praxis stellt sich oft auch die Frage nach der persönlichen Ethik, nach unseren Orientierungsmaßstäben, etwa wenn es um wichtige Entscheidungen im Leben geht. Diese Frage ist ihrem Wesen nach philosophischer Natur und lässt sich nicht wissenschaftlich, biologisch oder psychologisch klären. Gerade heute, wo in unserem Kulturkreis das Deutungsprivileg der großen Religionen für Fragen der Ethik, der Werte, des Sinns und der ‚letzten Dinge’ mehr oder weniger zusammengebrochen ist, ist der philosophische Hintergrund des Therapierens wieder bedeutsam geworden. Die ethische Frage ‚Wie soll ich leben?’ ist personaler Natur und lässt sich nur im dialogischen Austausch zwischen Personen beantworten.

‚Existenziell‘ meint für mich ganz konkret, dass gerade im Rahmen einer Lehrtherapie auch philosophische Fragen Raum bekommen. Etwa wenn es darum geht, die eigenen Werte und Prioritäten im Leben zu klären, die eigenen Handlungsmaßstäbe, Sinnfragen und letztlich natürlich die Frage nach dem eigenen Menschsein: Wer bin ich? und: Zu wem will ich eigentlich werden? Auch bei existenziellen Krisen und Schicksalsschlägen und in der Auseinendersetzung mit leidvollen Gegebenheiten des Lebens  finden wir Sinn und Trost eher in der Philosophie als in der Psychologie.

Eine existenziell ausgerichtete psychotherapeutische Praxis ist insoweit immer auch philosophische Praxis, als sie offen ist für solche Fragestellungen, wenn sie für einen einzelne Menschen bedeutsam sind auch für sein Heilwerden an Leib und Seele.